Wenn wir von Innovationen in der Wirtschaft reden, beschränken wir uns meist auf Neuerungen im Bereich von Geschäftsprozessen oder der Technisierung und Optimierung von Abläufen als Bestandteil von bestehenden Unternehmen. Die Entwicklung und Ausformung der unterliegenden Strukturen geraten dabei leicht in Vergessenheit. Dass gerade die Erfindung und Schaffung von grundlegenden, verlässlichen und verbindlichen Geschäftsstrukturen ein wesentliches Element für die wirtschaftliche Dynamik aller bestehenden Gesellschaften sind, findet vergleichsweise wenig Beachtung. Dennoch ist sie von entscheidender Bedeutung.
Die bis heute vielleicht wichtigste Innovation in der Ausformung dieser Strukturen war die Entwicklung der rechtsfähigen (Kapital)-Gesellschaft, in der die Rechtspersönlichkeit der in Rede stehenden Organisation unabhängig von der ihrer Mitglieder oder Besitzer war. Die daraus abgeleitete Beschränkung der Haftung der Mitglieder auf ihre getätigte Einlage, war der zweite wesentliche Innovationsschritt.
Die Anfänge solcher Strukturen finden sich im antiken Rom. Dort existierten die sogenannten Societas Publicanorum, deren Gesellschafter als reine „Investoren“ in modernem Sinn agierten, die Kapital in die Gesellschaft einbrachten, ohne Arbeit zu leisten und ihre Haftung und das Risiko an den Verlusten beschränkten, um dann von den erwarteten Gewinnen der Gesellschaftsaktivität über Ausschüttungen profitieren zu können. Das römische Recht erkannte diesen Institutionen eine eigene Rechtspersönlichkeit zu.
Im mittelalterlichen Europa entwickelte sich die Idee organisierter Rechtspersönlichkeiten im Kontext von Zünften und Handelsverbänden. Diesen Organisationen wurden Gewerbe- und Schutzrechte gewährt. Ihre formierte Rechtspersönlichkeit regulierte Handel und Gewerbe. Die Mitglieder finanzierten die Organisation über den Erwerb von Anteilen und erhielten aus der Organisation den anteiligen Überschuss durch Ausschüttungen.
Im 17. Jahrhundert gehörten die Niederländische Ostindien-Kompanie (1602) und die Britische Ostindien-Kompanie (1600) zu den frühen Beispielen für Unternehmen mit eigener – sogar international anerkannter – Rechtspersönlichkeit. Sie gelangten zu bedeutender wirtschaftlicher und politischer Macht, die sich aus den von ihren jeweiligen Regierungen verliehen Monopolbefugnissen ableitete. Diese Monopole waren auf ihre Rechtsform verbrieft und gaben ihnen die Möglichkeit, durch die Ausgabe von Aktien an natürliche Personen und Regierungen, dieser Rechtspersönlichkeit das notwendige Kapital zu beschaffen.
Im späten 17. und Anfang des 18. Jahrhundert erfolgte die Entwicklung der ersten strukturierten Aktiengesellschaften. Sie ermöglichten die Bündelung des Kapitals einer großen Zahl von Anlegern. Die Gründung und Finanzierung solcher großen Gesellschaften, die Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnen, Kanäle, Kolonialexpeditionen, Bergbau- und internationale Handelsgeschäfte umsetzten, wurden in einer ersten Globalisierungswelle nötig. Einzelne Personen konnten diese Projekte weder finanzieren noch das Risiko im Falle des Scheiterns tragen.
Die industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhundert führte dann zur Ausbreitung von privaten Unternehmen in verschiedenen Branchen. Die Notwendigkeit großer Kapitalinvestitionen und der Wunsch, die persönliche Haftung zu begrenzen, trugen zur Popularität der neuen Gesellschaftsform bei.
Ende des 19. Jahrhunderts begann sich der rechtliche Rahmen für solche Strukturen international zu entwickeln. Regierungen sorgten mit Gesetzen für die rechtlichen Grundlagen. Die spezifischen regulatorischen Vorschriften für Aktiengesellschaften variierten zwar von Land zu Land, aber das Grundkonzept einer separaten juristischen Person mit beschränkter Haftung für ihre Aktionäre und die freie Übertragbarkeit der Anteile blieb ein roter Faden in der Gestaltung der Struktur.
Im 20. Jahrhundert kam es – durch starkes Bevölkerungswachstum getrieben – zu einer Expansion von Produktion und Handel. Das durch diese Expansion generierte Kapital suchte Anlagemöglichkeiten. Die nächsten Globalisierungswelle setzte sich in Gang. Gleichzeitig sorgte die Entwicklung von Börsen, an denen die Notierung und der Handel mit Anteilen von Aktiengesellschaften ermöglicht wurde, zu einem sprunghaften Wachstum der Anzahl der Unternehmen in dieser Rechtsform.
Aktiengesellschaften sind ein wesentlicher Bestandteil der Weltwirtschaft. Sie umfassen ein breites Spektrum an Branchen und spielen eine entscheidende Rolle in unseren Gesellschaftssystemen. Die Aktiengesellschaft ist heute eine der am besten regulierten und strukturierten Unternehmensformen. Sie kommt in fast allen Rechtskreisen vor.
Die eigene Rechtspersönlichkeit ist ihr innovatives, grundsätzliches Fundament. Sie sichert den Kern und macht es möglich, Verträge abzuschließen, Anteile zu schaffen und gegen Einlagen auszugeben, Eigentum zu erwerben und zu besitzen, Kredite aufzunehmen, zu klagen und verklagt zu werden. Aktionäre haften grundsätzlich nur in Höhe ihrer Beteiligung am Unternehmen. Eine darüberhinausgehende Haftung besteht systemgewollt nicht. Die Existenz der Aktiengesellschaft ist zunächst einmal unbefristet und unabhängig von Änderungen in den Eigentumsverhältnissen oder im Management. Dies sorgt für Stabilität und Kontinuität. Die Trennung von Eigentum (Aktionäre) und Management (Vorstand und Führungskräfte) erzwingt in unserem heutigen, komplexen Rechtsystem eine Struktur, die den Aktionär und das Unternehmen in seinen Rechten und Pflichten klar definiert und somit langfristig schützt. Das Management wird von den Aktionären verpflichtet, den wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft zu realisieren und zu sichern. Der wirtschaftliche Erfolg wird zum Treiber des Gesamterfolges der Rechtspersönlichkeit. Den Aktionären obliegt es heute in der Aktionärsversammlung über den Beschluss von anteilsmäßigen Ausschüttungen ihren persönlichen Anteil am Erfolg festzulegen und zu realisieren und es obliegt ihnen durch geeignete Auswahl eines guten Managements den Bestand und Erfolg der Gesellschaft zu sichern.
(Foto: Los Aceros Roechling-Buderus S.A. – Archivbild – Freunde historischer Aktien, Auktionsgesellschaft, Wolfenbüttel)